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Sprachbiographien – Abdul (30)

Tamazight / Arabisch / Französisch / Deutsch

Zuhause Tamazight, auf der Straße Arabisch

Abdul kommt aus Marokko. Er ist Berber und stammt aus dem mittleren Atlasgebirge, aus dem kleinen Dorf Imouzzer in der Nähe von Fes. Abdul spricht Tamazight, die Berbersprache mit der größten Sprecherzahl in der Region. Zuhause wird nur in dieser Sprache gesprochen, aber auf der Straße mit Leuten, die er nicht kennt, spricht er Arabisch - Marokkanisches Arabisch um genau zu sein. Marokkanisches Arabisch unterscheidet sich so stark vom Hocharabischen, dass man es als eigene Sprache ansehen könnte. In Marokko wird das allerdings nicht so gesehen, es herrscht eine abwertende Haltung gegenüber dem marokkanischen Arabisch, denn es gilt als ein unsauberer Dialekt der Sprache des heiligen Korans. In den Schulen wird Hocharabisch gelehrt und gesprochen, auch wenn in Abduls Grundschulklasse fast alle Schüler Berberkinder waren. Sie redeten auf Tamazight/Berber miteinander. Wenn sie zuviel Tamazight sprachen, vor allem während des Unterrichts, wurde der Lehrer dann auch manchmal wütend und schimpfte. Auf die Nachfrage in welcher Sprache der Lehrer schimpfte antwortete Abdul “Marokkanisch”. 

Mit Europäern spricht man Französisch

Abdul ging ins Gymnasium und machte Matura, in den höheren Schulstufen lernte er Französisch und Englisch als Fremdsprachen. Französisch konnte er gut gebrauchen, denn er arbeitete nach der Matura mit Computern, die in Marokko standardmäßig französisch eingestellt sind - das Erbe der Kolonisten. Überhaupt ist Französisch die dominierende Fremdsprache Marokkos. Mit Europäern spricht man Französisch, erklärt Abdul. Französisch ist in Marokko auch wichtiger als Englisch. 

Französisch macht das Leben teurer

Nach der Matura hat Abdul eine Ausbildung zum EDV-Techniker gemacht; nicht in seinem Heimatdorf, sondern in Rabat, einer großen Stadt an der Küste. Dort gibt es auch nicht mehr so viele Berber, und nur wenn er zufällig einen trifft, reden sie in ihrer Muttersprache; und wenn es ein Gemüsehändler am Markt ist, gibt es noch einen Preisnachlass bei den Tomaten. Ein Berber hilft dem anderen. Abdul hat dann einen Job in einem Internetcafe angenommen. Schnell musste er lernen, dass eine Stunde surfen auf Marokkanisch 20 Dirham (ca. 2 €), auf Französisch leicht mal das Doppelte kostet. Touristen bezahlen mehr in seinem Land. Das ist so – na ja, nicht immer. 

Der Weg zum Deutschen

Einmal ist ein deutscher Professor gekommen, erzählt er, der hat nur den Kopf geschüttelt und den regulären Preis bezahlt. Dieser Mann wurde sehr bedeutsam in Abduls Leben. Er nahm in mit nach Deutschland an eine Universität. Abdul arbeitete dort als sein Assistent. Es ist jetzt fünf Jahre her, dass er zum ersten Mal in Europa war. Anfangs pendelte er mehrmals im Jahr zwischen Deutschland und Marokko hin und her, doch mit der Zeit wurden seine Aufenthalte im Heimatland seltener. In Deutschland musste Abdul natürlich sein Schulenglisch auspacken, um sich verständlich zu machen. Das war nicht ganz so einfach gesteht er: „Jeder dort kann Englisch, doch die Menschen haben keine Zeit dafür“. Er erzählt, dass er häufig abgewiesen wurde, wenn er sich auf der Straße nach etwas erkundigte. Er begann also Deutsch zu lernen. Abdul ist der Ansicht, dass man die Sprache des Landes, in dem man sich befindet, lernen muss: „Egal wo das ist“. 

Deutsch und der Dialekt

Inzwischen lebt er in Graz und spricht flüssiges Deutsch. Mit dem Dialekt hat er aber so seine Schwierigkeiten, gibt er zu. Abdul hat keine Kontakte zu anderen Marokkanern in Graz. Als er einmal in der Straßenbahn jemanden Marokkanisches Arabisch reden hörte, hielt er sich bedeckt. Denn er hat gehört, die Marokkaner hier seien nicht nett. Gesprächsfetzen in Berber hat er noch nie aufgeschnappt. Vielleicht ist er ja der Einzige in ganz Graz. Das macht aber nichts. Grinsend versichert er mir, dass die Katzen ihn ohne Probleme verstünden, wenn er sie aus alter Gewohnheit mit „bisch, bisch, eino“ zu sich lockt.